Pyrrolizidin- und Tropanalkaloide sind Toxine, die als sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe in vielen Pflanzenarten vorkommen und die Gesundheit des Menschen gefährden können.
Pyrrolizidinalkaloide (kurz PA) sind bisher in über mehr als 350 Pflanzenarten nachgewiesen worden. Vertreter mit Fähigkeit zur PA-Bildung finden sich z. B. in folgenden Pflanzenfamilien: Korbblütler (Asteraceae), Rauhblatt- oder Borretschgewächse (Boraginaceae), Hülsenfrüchtler (Fabaceae oder Leguminosae), Hundsgiftgewächse (Apocynaceae), Hahnenfussgewächse (Ranunculaceae), Braunwurzgewächse (Scophulariaceae). Man vermutet, dass der Grund für die Toxinbildung bei der Abwehr von Frassfeinden zu suchen ist. [#1]
Auf Viehweiden und Feldern können Wildkräuter gedeihen, die PA enthalten. Beispiele sind das in Europa verbreitete Jakobs-Kreuzkraut (Senecio jacobaea), das Gemeine Greiskraut (Senecio vulgaris) oder der Natternkopf (Echium vulgare). Diese gelangen durch die Weidefütterung oder die Ernte von Kulturpflanzen in die Nahrungskette.
Von PA-Belastungen betroffene Lebensmittel sind z. B. verschiedene Kräutertees sowie Tees, verschiedene Küchenkräuter und Gewürze und Nahrungsergänzungsmittel mit pflanzlichen Inhaltsstoffen und/oder auf Pollenbasis (s. rechtl. Grundlagen). Durch die Aufnahme von mit PA belastetem Nektar oder Blütenstaub durch Bienen können die Substanzen auch in den Honig gelangen [#2].
Auswahl an pyrrolizidinalkaloidhaltigen Pflanzen
Gemeines Greiskraut (Senecio vulgaris)
Gewöhnlicher Natternkopf (Echium vulgare)
Pestwurz (Petasites hybridus)
Echter Beinwell (Symphytum officinale)
Jakobskreuzkraut (Senecio jacobaea)
Borretsch (Borago officinalis)
Tropanalkaloide (kurz TA) werden v. a. von Ackerunkräutern der Familie der Nachtschattengewächse gebildet, wie z. B. dem Schwarzen Bilsenkraut (Hyoscyamus niger), dem Gemeinen Stechapfel (Datura stramonium) oder der Tollkirsche (Atropa belladonna). TA-haltige Pflanzenteile und Samen werden bei der Ernte der Kulturpflanze «mitgenommen». Und falls diese sich bei der Nacherntereinigung von Buchweizen, Hirse usw. nicht vollständig entfernen lassen, gelangen TA in die Lebens- und Futtermittel. [#3]
Auswahl an tropanalkaloidhaltigen Pflanzen
Gemeiner Stechapfel (Datura stramonium)
Schwarzes Bilsenkraut (Hyoscyamus niger)
Tollkirsche (Atropa belladonna)
CHEMIE
Chemisch gesehen handelt es sich bei den Pyrrolizidinalkaloiden um Ester, hervorgegangen aus einer Necinbase (1-Hydroxymethylpyrrolizidin-Grundgerüst) und Necinsäuren (aliphatische Mono- oder Dicarbonsäuren). Bisher sind mehrere hundert PA und deren N-Oxide bekannt. Im Wesentlichen wird zwischen drei Strukturtypen unterschieden [#4]:
Retronecin-/Platynecin-Typ
Heliotridin-Typ
Otonecin-Typ
Bei den Tropanalkaloiden wurden bisher mehr als 200 verschiedene Moleküle identifiziert [#5]. Bisherige rechtliche Regelungen fokussieren auf die beiden TA Atropin (racemisches Gemisch aus [-]-Hyoscyamin und [+]-Hyoscyamin [#6]) und Scopolamin.
Atropin
Scopolamin
TOXIKOLOGIE
Was für Pflanzen nützlich ist, kann für Mensch und Tier gefährlich werden.
Pyrrolizidinalkaloide, vornehmlich die 1,2-ungesättigten, können leberschädigend sein. Im Weiteren werden aufgrund von Tierversuchen auch erbgutverändernde und krebserregende Wirkungen angenommen. Gemäss BfR können die in Lebensmitteln vorkommenden Mengen an PA sowohl für Kinder als auch für Erwachsene bei längerer (chronischer) Aufnahme gesundheitlich bedenklich sein [#1]. Die Spezialisten gehen davon aus, dass belastete Kräuter und Gewürze ebenfalls erheblich zur längerfristigen wie auch zur kurzfristigen Exposition gegenüber 1,2-ungesättigten PA beitragen, auch wenn die absolute Verzehrsmenge von Kräutern über zubereitete Gerichte gering ist [#7]. Die Aufnahme von PA-belasteten Pflanzen auf Weiden kann z. B. Pferde und Rinder schleichend vergiften und zu schwerwiegenden Erkrankungen oder gar zum Tod führen [#8].
Es ist bekannt, dass niedrige Tropanalkaloid-Dosen die Herzfrequenz und das zentrale Nervensystem beeinflussen; typische Symptome sind Benommenheit, Kopfschmerzen und Übelkeit. Atropin und Scopolamin gelten als akut toxisch. Besonders gefährdet sind Kleinkinder und Säuglinge, wenn sie mit TA-kontaminierten Getreideprodukten gefüttert werden. Offensichtlich akkumulieren die TA nicht; bisher wurde bei Atropin und Scopolamin keine Genotoxizität oder chronische Toxizität beobachtet. [#5]
RECHTLICHE GRUNDLAGEN
Seit Juli 2022 gelten in der EU und im EWR Höchstgehalte für PA [#9] [#10]:
Erzeugnis
Höchstgehalt (µg/kg)
8.4
Pyrrolizidinalkaloide
8.4.1
Kräutertees (getrocknetes Erzeugnis, ausgenommen die unter 8.4.2 und 8.4.4 genannten Kräutertees
200
8.4.2
Kräutertees von Rotbusch, Anis (Pimpinella anisum), Zitronenmelisse, Kamille, Thymian, Pfefferminze, Zitronenverbene (getrocknetes Erzeugnis) und Mischungen, die ausschliesslich aus diesen getrockneten Kräutern bestehen, ausgenommen die unter 8.4.4 genannten Kräutertees
400
8.4.3
Tee (Camellia sinensis) und aromatisierter Tee (Camellia sinensis) (getrocknetes Erzeugnis), ausgenommen der unter 8.4.4 genannte Tee und aromatisierte Tee
150
8.4.4
Tee (Camellia sinensis), aromatisierter Tee (Camellia sinensis) und Kräutertees für Säuglinge und Kleinkinder (getrocknetes Erzeugnis)
75
8.4.5
Tee (Camellia sinensis), aromatisierter Tee (Camellia sinensis) und Kräutertees für Säuglinge und Kleinkinder (flüssig)
1.0
8.4.6
Nahrungsergänzungsmittel mit pflanzlichen Inhaltsstoffen einschliesslich Extrakten Tee, ausgenommen die unter 8.4.7 genannten Nahrungsergänzungsmittel
400
8.4.7
Nahrungsergänzungsmittel auf Pollenbasis, Pollen und Pollenprodukte
500
8.4.8
Borretschblätter (frisch, tiefgefroren), die für den Endverbraucher in Verkehr gebracht werden
750
8.4.9
Getrocknete Kräuter, ausgenommen die unter 8.4.10 genannten getrockneten Kräuter
400
8.4.10
Borretsch, Liebstöckel, Majoran und Oregano (getrocknet) und Mischungen, die ausschliesslich aus diesen getrockneten Kräutern bestehen
1000
8.4.11
Kreuzkümmel (Gewürzsamen)
400
Pyrrolizidinhöchstgehalte gem. Verordnung (EG) Nr. 1881/2006
Die Höchstwerte in obiger Tabelle beziehen sich auf die Untergrenze der Summe der folgenden 21 Pyrrolizidinalkaloide: Echimidin/Echimidin-N-oxid, Europin/Europin-N-oxid, Heliotrin/Heliotrin-N-oxid, Intermedin/Intermedin-N-oxid, Lasiocarpin/Lasiocarpin-N-oxid, Lycopsamin/Lycopsamin-N-oxid, Retrorsin/Retrorsin-N-oxid, Senecionin/Senecionin-N-oxid, Seneciphyllin/Seneciphyllin-N-oxid, Senecivernin/Senecivernin-N-oxid, Senkirkin sowie die folgenden zusätzlichen 14 Pyrrolizidinalkaloide, die bekanntermassen mit einem oder mehreren der oben genannten 21 Pyrrolizidinalkaloide koeluieren, anhand bestimmter derzeit verwendeter Analysemethoden (* = mögliche Koelution): Indicin, Echinatin, Rinderin (* mit Lycopsamin/Intermedin); Indicin-N-Oxid, Echinatin-N-Oxid, Rinderin-N-Oxid (* mit Lycopsamin-N-Oxid/Intermedin-N-Oxid), Integerrimin (* mit Senecivernin/Senecionin), Integerrimin-N-Oxid (* mit Senecivernin-N-Oxid/Senecionin-N-Oxid), Heliosupin (* mit Echimidin), Heliosupin-N-Oxid (* mit Echimidin-N-Oxid), Spartioidin (* mit Seneciphyllin), Spartioidin-N-Oxid (* Koelution mit Seneciphyllin-N-Oxid), Usaramin (* mit Retrorsin), Usaramin-N-Oxid (* mit Retrorsin-N-Oxid)
Und seit September 2022 gelten in der EU und im EWR Höchstgehalte für TA [#11] [#10]:
Erzeugnis A = Atropin, S = Scopolamin
Höchstgehalt (µg/kg)
8.2
Tropanalkaloide
8.2.1
Getreidebeikost und andere Beikost für Säuglinge und Kleinkinder, die Millethirse, Sorghumhirse, Buchweizen, Mais oder daraus gewonnene Erzeugnisse enthält
A 1.0 S 1.0
8.2.2
Unverarbeitete Millethirse und Sorghumhirse
A+S 5.0
8.2.3
Unverarbeiteter Mais mit Ausnahme von unverarbeitetem Mais, der zur Verarbeitung durch Nassmahlen bestimmt ist und unverarbeitetem Popcorn-Mais
A+S 15
8.2.4
Unverarbeiteter Buchweizen
A+S 10
8.2.5
Popcorn-Mais
Millethirse, Sorghumhirse und Mais, die für den Endverbraucher in Verkehr gebracht werden
Mahlerzeugnisse aus Millethirse, Sorghumhirse und Mais
A+S 5.0
8.2.6
Buchweizen, der für den Endverbraucher in Verkehr gebracht wird
Mahlerzeugnisse aus Buchweizen
A+S 10
8.2.7
Kräutertees (getrocknetes Erzeugnis), ausgenommen die unter 8.2.8 genannten Kräutertees
A+S 25
8.2.8
Kräutertees (getrocknetes Erzeugnis) von Anissamen
A+S 50
8.2.9
Kräutertees (flüssig)
A+S 0.20
Tropanalkaloidhöchstgehalte gem. Verordnung (EG) Nr. 1881/2006
Die Schweizer Kontaminantenverordnung (VHK, SR 817.022.15) enthält lediglich Atropin- und Scopolamin-Höchstgehalte für Getreideprodukte für Kleinkinder und Säuglinge (gleiche Grenzwerte wie in der EU – je 1.0 µg/kg [#13]). Ansonsten sind keine weiteren Bestimmungen zu den TA enthalten. Die PA sind bisher in der VHK nicht geregelt.
Die Schweiz wird 2023 dem EU-Recht gleichziehen [#14]. Es empfiehlt sich, diese Parameter schon heute in die Rohstoffgefahrenanalysen aufzunehmen. Denn die Vollzugsbehörden greifen bereits jetzt wegen zu hohen PA- und TA-Gehalten auf der Basis von allgemeinen Gesetzesbestimmungen zum Schutze der Gesundheit des Konsumenten im Markt ein [#15] [#16].
Bildmaterial: sämtliche Pflanzenbilder → Adobe Stock; chemische Strukturformeln und Auszug Prüfbericht → Labor Veritas AG
DIENSTLEISTUNG LABOR VERITAS AG
Labor Veritas AG verfügt über eine akkreditierte LC-MS/MS-Methode, mit welcher gleichzeitig 33 PA und die beiden TA Atropin und Scopolamin bestimmt werden. Die Nachweisgrenzen liegen typischerweise zwischen 1 und 3 µg/kg und die Bestimmungsgrenzen zwischen 2 und 5 µg/kg.
Herausforderung bei der Probenvorbereitung von festen Proben: Es muss ein Vermahlungsgrad von 200 µm erzielt werden.
Tee in Vorratsglas
Probenahme/Probemengen
Es ist unbedingt sicherzustellen, dass repräsentative Probenmuster gezogen werden – 20 g bei löslichen, 50 g bei festen Proben.
Und vergessen Sie nicht, die Proben so zu bezeichnen, wie Sie sie im Prüfbericht wieder finden wollen.
Probenahme/Probemengen
Es ist unbedingt sicherzustellen, dass repräsentative Probenmuster gezogen werden – 20 g bei löslichen, 50 g bei festen Proben.
Und vergessen Sie nicht, die Proben so zu bezeichnen, wie Sie sie im Prüfbericht wieder finden wollen.
Auszug Prüfbericht von Labor Veritas AG
Prüfbericht
Sie erhalten einen elektronisch signierten Prüfbericht, in welchem die Messergebnisse für alle PA und TA einzeln sowie für den Konformitätsnachweis in der Summe aufgeführt sind.
Sie erhalten einen elektronisch signierten Prüfbericht, in welchem die Messergebnisse für alle PA und TA einzeln sowie für den Konformitätsnachweis in der Summe aufgeführt sind.
Die Akkreditierung ist jeweils fünf Jahre gültig und wird ca. alle anderthalb Jahre einer Zwischenprüfung (Überwachungsaudit) unterzogen. Die Begutachtungen werden von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle SAS durchgeführt. Die Prüfverfahren im akkreditierten Bereich sind im Anhang zur Akkreditierungsurkunde aufgelistet.
Die Bewilligung der Swissmedic zur chemischen, physikalischen und mikrobiologischen Qualitätskontrolle von Arzneimitteln bzw. deren Rohstoffe ist unbefristet gültig. Alle 2 Jahre findet eine Inspektion durch die Kantonale Heilmittelkontrolle Zürich statt.